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pampelmusen
1997

eine arbeit für den schaukasten im winter

schaukasten oranienburger8, berlin

17 pampelmusen, kaschiertes sperrholz, gouache, licht



marita frieds pampelmusen

in einem kleinen querformatigen schaukasten kontrastieren hell erleuchtet zwei ineinander verzahnte pyramiden gelber pampelmusen mit einem bogenförmig gekrümmten blauen grund. Dieser festliche doppelklang von gelb und blau hebt sich strahlend ab von der fleckig graubraun verwitterten fassade, in die der schaukasten eingelassen ist. eine feier reiner farbe und praller volumina, ein stück mittelmeerischer heiterkeit, ein refugium der autonomie ästhetischen genießens eröffnet sich inmitten der spannung zwischen trister abnutzung und protziger architektonischer erneuerung, von der diese zone im herzen berlins erzittert.
der schaukasten konkurriert mit den viel größeren schaufenstern in seiner nachbarschaft, die gleichfalls ihr angebot zu sehen geben. nur wenige schritte entfernt bietet ein geschäft ebensolche pampelmusen feil. die metamorphose der früchte vom konsumgut zum leuchtenden farbkörper offenbart sich als ortsspezifischer prozess, der abgeschritten werden kann, und darüber hinaus als verweis auf die dialektik des ästhetischen zwischen autonomie und referenz, unbedingtheit und bedingtheit, hier formuliert als dialektik zwischen reiner farbe und bloßer handelsware.

das transzendieren der alltäglichn bedingtheiten und abhängigkeiten, in denen wir leben, lässt die kunst überraschend und ereignishaft werden. doch das gelingt ihr kaum durch das kecke behaupten ästhetischer bedingungslosigkeit, sondern erst durch das bewusste reflektieren über die abhängigkeit von ihrem entstehungszusammenhang. in der unvorhersehbar formulierten beziehung zur wirklichkeit und im schwebezustand zwischen autonomie und realitätsgebundenheit liegt das eigentliche potential der kunst. die aufforderung an den betrachter, die für das jeweilige werk charakteristische balance von autonomie und realitätsbezug nachzuvollziehen, ruft die lust der betrachtung hervor, in der wirklichkeitserkenntnis und verführung sich mischen. das werk sehen heißt, diese balance zu realisieren – im falle der pampelmusen-pyramiden etwa darüber zu reflektiern, inwieweit sich bestimmte identische dinge in unterschiedlichen zusammenhängen ( im little white cube des schaukastens und im obst- und gemüse-laden) different darbieten, bzw. inwieweit wir uns identisch / different zu dem verhalten, was sich uns zeigt; oder inwieweit sich unsere wahrnehmung dieser identität / differenz wiederum durch die strahlende schaukastensituation in einer abgetakelten hausmauer in berlin-mitte differenziert, usw.
iIn dem blau hinterfangenen schaukasten werden die pampelmusen zu dem produktionsprozess entzogenen prallen schaustücken. die betrachter vor dem schaukasten wiederum werden zu dem konsumptionsprozess entzogenen reinen schauern. der austausch der blicke tritt an die stelle des austauschs von waren.
„ trahit sua quemque voluptas: l´un s´identifie au spectacle, et l´autre donne a voir.“ – „einen jeden verrät sein begehren: der eine geht im spektakel auf, und der andere gibt zu sehen“, schreibt lacan. in der blick-ökonomie des begehrens zwischen exhibition und schauenwollen agieren auch – stellvertretend? – pampelmusen.

michael lüthy, 1998